07. Vom Paradies.

 

Nein. Ich möchte jetzt nicht das Paradies hier beschreiben. Wundervolle Orte. Himmlisches Essen. Oder eine Herzlichkeit, die mich immer wieder umhaut. Ich möchte euch auch nicht weiter in die Milde hier einlullen. Das milde Licht. Das milde Wasser… 

Aber nach meinen kritischen Worten in Essay 06 noch einmal ganz klar. Ich habe hier ein Paradies gefunden. Gefunden. Gelebt. Aber ich denke auch über das Paradies nach. Kritisch. Nachdenklich. Nicht nur, wenn die Morandi-Brücke einstürzt.

Gerade habe ich Elena Ferrante, meine geniale Freundin zu Ende gelesen. Vier Bände über das nicht funktionieren eines Landes. Dieses Landes. Italien. Die Italiener. Da war ich doch ganz zahm mit meinen kritischen Worten in einem einzelnen Essay. Aber mein Thema ist ja auch die Welt hochzuwerfen. Wer mehr kritisches über Italien lesen mag, sollte sich an Elena wenden. Aus Band 4 - Die Geschichte des verlorenen Kindes:

„Es waren komplizierte Jahre. Die Ordnung der Welt, in der wir aufgewachsen waren, löste sich auf. Die alten Kenntnisse, die dem langen Studium und der Wissenschaft der richtigen politischen Linie zu verdanken waren, schienen plötzlich nutzlos zu sein. Anarchistisch, marxistisch, gramscistisch kommunistisch, leninistisch, trotzkistisch, maoistisch, operaistisch wurden im Nu zu anachronistischen Etiketten oder, schlimmer noch, zu Malen der Bestialität. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die Logik der Profitmaximierung, die früher als abscheulich gegolten hatten, waren nun überall wieder zur Grundlage von Freiheit und Demokratie geworden…. Man wurde leicht ermordet oder landete im Gefängnis, und bei den Normalbürgern hatte ein „Rette sich, wer kann“ eingesetzt.“

Inzwischen habe ich mich ans Paradies gewöhnt. Im besten Sinne. Ich bin hier zu Hause. Habe Gewohnheiten. Jeden Morgen ans Meer. Qi Gong praktizieren vor traumhafter Kulisse. Tolle Energie… Meine Lieblingsläden zum Einkaufen. Himmlisches Essen… Wie gesagt. Paradies.

Und jetzt? Ich habe tatsächlich angefangen, mich zu erholen. Urlaub. Ganz klassisch. Letzte Woche hatte ich meinen zweiten Strandtag. Lesen. Baden. Rumliegen. Einen ganzen Tag lang. Fast einen ganzen Tag. Aber die unbändige Lust zu entdecken, energiegeladen bergauf-bergab durch die Natur zu hüpfen, die Energie traumhafter Städte zu spüren, macht immer öfter eine Pause. Die Welt fliegt auch mal, ohne dass ich sie hochwerfe.

Ich beobachte allerdings immer noch. Und hänge noch an der Frage, warum wir Menschen - und nicht nur die Italiener - uns so schwer tun mit paradiesischen Zuständen. Paradise now. Warum denn eigentlich nicht?

 

Meinen zweiten Strandtag habe ich auf Palmaria verbracht. Eine Insel, der ich schon gleich nach meiner Ankunft im Juni den Titel Paradies verliehen habe. Zu Recht. Immer noch. Im August teile ich dieses Paradies allerdings mit vielen anderen. Es ist immer noch ruhig. Idyllisch. Und warum kommt mir jetzt der gleiche Ort weniger paradiesisch vor? Nur weil ich ihn mit ein paar Menschen teile? Wegen den zwei Kindern, die hier spielen? Oder wegen des braunen Männerrückens, der mir die Sicht auf die Chiesa San Pietro in Portovenere verstellt? 

 

 

 

Na dann. Definition Paradies. Das Paradies wird von Adam und Eva bewohnt. Und was haben Adam und Eva da den ganzen Tag gemacht? Nicht gearbeitet. Nicht gekocht. Keinen Haushalt gemacht. Kein soziales Leben geführt. Nicht mal Mode war ein Thema. Das konnte nicht lange gut gehen. 

Ich wurde ja nun mehrfach gefragt, was ich denn den ganzen Tag so mache. In drei Monaten Auszeit. Mich von Schönheit überwältigen lassen. Das Paradies entdecken. Das Paradies leben. 

Aber im Grunde sind wir Menschen nicht für ein Leben im Paradies geschaffen. Jedenfalls nicht auf Dauer. Unsere Vorfahren wurden daraus verreiben. Die Italiener…. O.k. Ich lasse es mit den kritischen Worten bei 06.

Und dennoch. Das Paradies als Bild ist eine nie versiegende Sehnsucht. Gut so. Wir brauchen das Paradies. Immer wieder. Aber eben nicht auf Dauer. Paradise now. Ein Tag. Zwei Wochen. Drei Monate…. Und danach gehen wir wieder an unsere eigentliche Aufgabe. Die Welt gestalten. Gemeinschaft leben. Brücken bauen. Auch wenn es Mühe macht. Auch wenn es manchmal schief geht. Mit Kain, Abel und Morandi….

Paradies ist Auszeit. Auszeit ist Paradies. 

Noch voll und ganz hier in meinem Paradies habe ich zusammengetragen, was ich wohl vermissen werde. Was mein Paradies hier und jetzt ausmacht. Bevor ich es wieder verlasse… 

  • Das milde Licht hier. Und die Farben. Zu jeder Tageszeit ein Wunder. Jeden Tag.
  • Das Essen. Ganz klar. Ein einziger Genuss. Jeden Tag. 
  • Den Klang der italienischen Sprache. Die Knoten in meiner Zunge, wenn ich am Ende eines langen Tages einfach keine gut artikulierten italienischen Worte mehr rauskriege.
  • So manchen lieb gewonnen Menschen hier. 
  • Der Gang zum Meer. In 3 Minuten da. Und 5 Schwätzchen gehalten. 
  • Dass die Antwort auf die Frage „Und was mache ich jetzt?“ eigentlich immer heißen kann, vai al mare - dann gehste halt ans Meer. 
  • Qi Gong morgens am Meer. Qi intravenös. 
  • Die Natur hier. Unbeschreiblich. 
  • Der Duft der Pinienwälder. Gepaart mit dem Blick auf´s weite blaue Meer. 
  • Eigentlich immer einen Bikini dabei zu haben. Man weiß ja nie. 
  • Baden im Meer. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und vor allem: Jeden Tag. Bisher gab es ganze zwei Ausnahmetage.
  • Die Sonnenuntergänge am Meer. Nicht ganz jeden Tag. Aber immer schön. Immer anders.
  • Das Leben draußen. Zum Schlafen bin ich drinnen. Zum Kochen. Zum Duschen. Zum Putzen. Poi basta. 
  • Die Möglichkeit jederzeit in aufregende und so italienische Städte zu fahren. Ganz vorne dabei Firenze. La città più Bello del mondo - die schönste Stadt der Welt. 
  • Die Milde hier. In allem. Der Natur. Dem Meerwasser. Dem Licht. Dem Essen…
  • Die Sonne und die Wärme. Die Wärme und die Sonne. 
  • Das Meer.

Und was ich wohl nicht vermissen werde. Das Paradies ist schließlich nur ein Bild. Ein Ausschnitt der Realität. Und die beinhaltet nun eben auch mal Dinge wie 

  • Die Resignation der Italiener. Siehe Essay 06. Ich bin jetzt still. 
  • Das non funzione niente - nichts funktioniert. Ebenfalls aus 06. Auch wenn es natürlich manchmal auch ganz amüsant sein kann. 
  • Der Anblick nicht gepflegter Männerfüße. Ich kann Socken auf einmal was abgewinnen.
  • Der Gestank in den Straßen. Und den ewigen Blick auf die Straße, damit du nicht in einem Kackhaufen landest.
  • Den Geruch von Anti-Schnaken-Spray. Egal welcher Marke.

 

Wundervoll. Großer Spaß. Ich lege euch ans Herz, das einfach mal nachzumachen. Funktioniert mit jedem Paradies. Dem kleinen. Dem großen. Dem Urlaubsort. Dem Sonntagsfrühstück. Dem Tag im Bett. Dem zu Hause. Dem Tag im Wald. Der Partnerschaft… Einfach hinsetzen und los schreiben. Wer über sich schmunzeln kann, wird viel Freude haben. Schickt mir gerne eure Ergebnisse zu. Ich schmunzle gerne mit. Wenn ihr mögt direkt über den Antwort Button. 

 

 

 

Heute Abend war ich am Meer. Am molo, meinem Lieblingsstrand. Baden. Klar. Jeden Tag. Und das Meer anschauen. Der Sommer verabschiedet sich langsam. Piano. Piano. Wind. Wellen. Auch das Paradies macht heute Pause. Auszeit von der Auszeit. Mare brutto - sagt man hier - schlechtes Meer. Hässliches Meer… Wunderschönes Meer.

 

 

Aber damit keine allzu deutschen, herbstlichen Gedanken aufkommen. Auch heute Abend saß ich im Bikini auf den Felsen. Mit einem leichten Tuch um wegen des Windes. Und nach Sonnenuntergang hat es immer noch 24 Grad…. Das ist eben Paradies. Auch in der Auszeit. 

Wind. Wellen. Wärme. Wärme. Wärme. 

 

Bacio. Tanja