06. Von den zwei Gesichtern Italiens.

 

Italia è il paese più bello del mondo. -  Italien ist das schönste Land der Welt. Das habe ich mehrfach gehört. Nein. Eigentlich nicht gehört. Es war mehr eine Frage. Mit der Bitte um Bestätigung meinerseits. So als würde es mein italienisches Gegenüber selbst nicht ganz glauben. Zweifel. Getrübte Überzeugung. Getrübte Freude. Zu Recht! Bei aller Überzeugung wie schön dieses Land ist, stellen Italiener doch genau so oft fest non funziona niente - es funktioniert nichts. Resignation. Resignation und Liebe zu diesem Land. Ich erlebe beides.

 

 

Dramatisch hat diese Resignation gerade in Genua geendet. Jeder wusste, dass diese Brücke einstürzen wird. Jedenfalls jeder, mit dem ich hier gesprochen habe. Aber sicher nicht nur die. Passiert ist trotzdem nichts. Korruption. Resignation.

Handeln, nicht reden. Nicht reden, handeln. Stand mal bei einem meiner Chefs im Büro. Das sollte man mal ins italienische übersetzen. Oder den Italienern als Tattoo aufschwätzen. Tattoos finden sie hier ja toll. Warum nicht mal ein sinnvolles.

Herzlich. Hilfsbereit. Gastfreundlich. Kommunikativ. So habe ich die Italiener kennen gelernt. Und anderseits betucken sie sich immer und überall. Sich gegenseitig. Die Touristen Aber am liebsten den Staat. Alle öffentlichen Einrichtungen. Volkssport Steuerhinterziehung. Kleine Betrügereien bis hin zur Mafia. 

Beim Busfahren werde ich hier im Schnitt jedes dritte mal kontrolliert. Jedesmal großes Kino. Mit Uniformen. Flächendeckend. Beim Einsteigen. Aussteigen. Im Bus… Einmal sogar in Begleitung der Polizia Stradale. Mit Revolvergürtel. Italowestern. Mein Gast war irritiert. Ich habe mich schon daran gewöhnt.  

Und warum diese vielen Kontrollen? Ich frage nach. Ich frage viel nach. Höre viel zu. Unterhalte mich mit den Italienern viel über das warum und wie in diesem schönen Land. Die Erklärung hierzu war symptomatisch. Es wird erst seit 3 Monaten kontrolliert. Davor nicht. Und davor hat eben auch keiner bezahlt. Keiner. Jeder ist hier grundsätzlich und immer schwarz gefahren. Warum sollte man auch bezahlen, wenn´s keiner kontrolliert? 

Das ist ein ganz wesentlicher Teil der italienischen Mentalität. Aber auch ein großer Teil der Problems dieses Landes. Im kleinen sind die Italiener herzlich. Echte Schätzchen. Aber im großen denkt jeder nur an seinen persönlichen Vorteil. Da sind sie zu tiefst korrupt und asozial. Eine Bedürfnis an die Gesellschaft als ganzes zu denken oder Mitverantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen… Das gibt es hier nicht. 

MOOR THAN MEE, habe ich auf einer Fassade gelesen. Ausgerechnet in Genua. Irritation. Resignation.

 

Die Brücken würden sehr wohl kontrolliert, habe ich mir sagen lassen. Wie ich denn auf die Idee kämme, dass die Brücken nicht kontrolliert würden. Nur danach passiere eben nichts. Resignation auf voller Linie.

Beim Schwarzfahren zeigt dir also einer den Revolvergürtel und wenn eine Brücke einstürzt, wenn über 40 Menschen sterben, dann ist das eben so? Weil Italien eben so ist? 

Ich bin wütend. Dieses Land ist so schön. Ein Paradies. Und die Italiener mit ihrem asozialen Verhalten, mit Ihrer Korruption, mit Ihrer Resignation schaffen dieses ganz und gar nicht paradiesische Klima. Eine ganz traurige Figur macht dabei auch die populistische Regierung. Die braucht wirklich keiner. 

Also diese Welt muss ich mal ganz schnell wieder hochwerfen. Dieses mal nicht mit der Leichtigkeit der Freude, sondern mit der Kraft der Wut.

Halten wir Menschen so paradiesische Zustände etwa nicht aus? Brauchen wir ein bisschen Unglück?

Gestern war ich wieder wandern. In einem märchenhaften Wald in der Nähe von Montemarcello. Pinien. Eichen. Farne. Und dieses wundervolle milde Licht. In großen Teilen bin ich auf einer alten Römerstraße unterwegs gewesen. Wundervoll. Warum nur ist das alte Rom untergegangen und die Italiener sind übrig geblieben? Haben auch die alten Römer dieses Paradies nicht ausgehalte? Korruption. Resignation. Untergang einer Gesellschaft…

Und nach dem Wandern dann Baden. Meer. Traumhafte Bucht. Paradies erleben. Für euch zum mitgucken. 

 

 

Bis vor drei Tagen habe ich nur das paradiesische Gesicht Italiens genossen. Wundervolle Landschaften und Orte. Traumhaftes Klima. Der Klang einer warmen Sprache. Göttliches Essen. Und das alles in einem milden Licht…. Dann kam das Gewitter. 

Das Gewitter, das die Morandi-Brücke zum Einsturz gebracht hat und meinen verstopften Abfluss zum überlaufen. Il Signor Comandante (Kapitän i.R., Mann von La Midi und Onkel meines Vermieters) und la Signora Architetto (ich kann´s nicht lassen…) haben dann einen Nachmittag lang mit den Handschuhen buchstäblich in der Scheiße gewühlt. Auch das italienische Handwerk ist durchaus von Resignation geprägt. Und meine Wut auf die Missstände in Italien ist nicht nur durch den Brückeneinsturz ausgelöst. Dieser Nachmittag war gar nicht paradiesisch. Auch wenn il Signor Comandante und ich durchaus ein gutes Team waren. 

 

Nachschlag vom 18.08.2018:

Ich komme von meinem samstäglichen Einkauf auf dem Markt zurück. Essen ist hier ein Hochgenuss. Einkaufen auch. Eine unbeschreibliche Qualität. Und doch - bisschen versteckt - zeigt sich auch hier das andere Gesicht Italiens. Am Marktstand für Käse und salumi ziehst du eine Nummer. Damit auch klar ist, wer wann dran ist. Und ich bin mir sicher, ohne die würden sich die asozialen Italiener die Köpfe einschlagen. Aber sie haben ja eine Lösung gefunden. Ich würde mir mehr wünschen. Aber für den Anfang ist das eine Lösung. 

 

 

Am Stand für Gemüse kam ich dann mit einem älteren Herren ins Gespräch, der die restlichen zwei Steigen fagioli - Bohnen gekauft hat. Er hat mir dann erklärt, wie sie hier Pasta e fagioli machen. Und hat mir eine Portion von seinen fagioli geschenkt. Und das in der Ferragostowoche, in der es hier von Touristen und Ausländern nur so wimmelt. 

 

 

Sein Rezept war denkbar einfach. Bohnen kochen. Wenn sie fast fertig sind, Pasta dazu. Am Ende bisschen Öl (natürlich Olivenöl) drauf. Und wenn ich mag, könne ich noch Parmesan drüber reiben. Wenn ihr es nachkochen wollt, bitte noch würzen. Auch wenn das der gute Mann nicht erwähnt hat. Und dann als eine Minestrone essen. Ganz einfach. Da gibt es auch feinere Varianten. Das war auch ein ganz einfacher Mann. Und trotzdem so gastfreundlich. Ich gebe Italien noch nicht auf. Nicht zuletzt wegen dieses Mannes…

 

… und wegen des cafés. Wie diesem auf meinem Schreibtisch im Capannina Del Molo. Hier sind viele meiner Blogtexte entstanden. Unterstützt von café, Spritz, Negroni, brioche e cappucciono….

 

 

Italien ist definitiv ein schönes Land. Das schönste der Welt? „Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“ so Søren Kierkegaard. Trotzdem ist es eine wundervolle Erfahrung, die Unterschiede in diesem schönen Land wieder so intensiv zu erleben. Aus paradiesischen und weniger paradiesischen Zuständen zu lernen. Um dann die Welt wieder hochzuwerfen… was mit unbändiger Freude im übrigen deutlich besser geht als mit der Kraft der Wut. 

Wieder Freude. Fagioli. Café. Sonne.

Bacio. Tanja