04. Von der Bewegung.

 

Bewegung. Ich habe mich seit ich hier bin viel mit Bewegung beschäftigt. Mich bewegt. Mich nicht bewegt. Be-WEG-ung. Wege gefunden. Wege gegangen. Wege entdeckt. Bewegungen beobachtet. Bewegung scheint mir etwas sehr zentrales zu sein. Weg sein. Meinen Weg gehen. 

Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Ich sammle jetzt Teebeutelsprüche auf meinem Kamin in der Küche. 

 

O.k. Nicht neu der Spruch. Aber Wiederholung tut gut. An einem der ersten Tage hier ist morgens eine Prozession hier vor dem Haus vorbeimarschiert. Ave Maria aus dem Lautsprecher. Wiederholung hat eine lange Tradition.

Heute musste ich mich bewegen. Weg bewegen. Von diesem schnuckeligen Lerici wegbewegen, um glücklich zu sein. Jetzt bin ich wieder gut angekommen. Ankommen kann man nur nach Bewegung.  

La freccia - der Pfeil - war gerade das Leitmotiv der Ausstellung von Andrea Bianconi im CAMeC in La Spezia. Provinzmuseum im Vergleich zu dem was wir alles feines, sehr feines à Milano gesehen haben. Aber heute gerade das richtige. Manchmal brauche ich diesen input… und danach den output.

 

 

Die große Kunst ist noch nicht ganz vergessen. Milano ist noch gar nicht lange her. Rückblick auf die Ausstellung Paolo Ventura in den Armani/ Silos. Auch da hat sich was bewegt… The red balloon. 

 

Oder Carsten Höller Upside Down Mushroom Room. Fondazione Prada. Große Freude, sich darin zu bewegen. Der Boden ist unten!

Experiment Video.

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Jetzt sitze ich doch wieder über alle Maßen zufrieden hier in Lerici in meiner Lieblingsbar. Aperitivo. Blick auf den Hafen. In Erwartung des Sonnenuntergangs. Bisschen lange Nase muss sein. Wochenends ist hier die Hölle los. Aber die haben hier genug aperitivi. Italienischer Plural. Italienisch für Fortgeschrittene. 

Zum fortgeschrittenen Italienisch gehören auch Bewegungen. Unbedingt. Die habe ich die letzten Tage mit großer Freude studiert. Italienische Gesten! Eigentlich versteht man die Italiener erst, wenn man Ihre Gesten versteht. Und gestern hatte ich ein Gespräch über Gesten und der Italiener war völlig erstaunt. Wie? Das machen die Deutschen nicht. Nö. Machen wir nicht. Mein Qi Gong Lehrer hat mal versucht, Qi Gong Bewegungen in Textform zu beschreiben. Es gibt Dinge, die er besser kann. Es gibt auch Dinge, die ich besser kann. Trotzdem. Weil es so schön ist. Das Ergebnis jedenfalls. Gesten zum mitturnen. 

  1. Der Klassiker. Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger locker zusammen. Zeigen nach oben. Handinnenflächen zur Brust zeigend. Etwa in Brusthöhe und dann bewegen! Viel! Gerne auch mit zwei Händen. Dann berühren sich die beiden Hände. Heißt VIEL. Mit Nachdruck. Macht alles intensiver. Manchmal die Finger öffnen. Dann wird’s ernst. 
  2. Mein neuer Liebling. Zeigefinger und Mittelfinger berühren mit der Fingeroberseite die Unterseite des Kinns. Und schnippen dann 2- 3 mal nach vorne weg. Heißt was negatives. NEIN. Verachtung. Würde ich nicht ungeübt anwenden.
  3. Jetzt ist aber Schluss. Basta. Linke Hand mit der Handfläche locker nach oben. Auf Brusthöhe. Rechte Hand ortogonal mit der Handkante mehrmals locker auf die Handinnenseite der linken Hand schlagen. Zum Schluss Hände in die Luft. 

Damit ist die italienische Gestig natürlich noch lange nicht erschöpft. Aber ich. Ich überlasse die Beschreibung von Bewegungen jetzt lieber wieder meinem Qi Gong Lehrer. Ich mache hier schließlich nur, was mir Spass macht. Schluss mit lustig. 

Nein. Eine noch. Als mir meine Italienischlehrerin den Unterschied zwischen architetto und architetta erklärt hat, habe ich das erst verstanden, als sie mit der entsprechenden Gestik unterstützt hat. Ich hatte natürlich immer gesagt sono un´architetta - ich bin Architektin. In Deutschland bin ich das auch. In Italien sono un architetto -  bin ich ein Architekt. Un architetta è un pò carina… - Eine Architektin ist bisschen süß. So meine Italienischlehrerin. Dazu hat sie den Körper hin und gewogen. Die Hände vor der Brust als würde man einen Ball halten (das Bild ist vom Qi Gong geklaut), sich klein gemacht und auch hin und her gewogen. Großmeisterin der Gesten… Tu invece sei un architetto - Du dagegen bist ein Architekt.  Und jetzt kommt DIE Gestik dazu. Die ist was für´s Leben. Auch wenn ihr den ganzen andern Quatsch oben nicht mitgemacht habt, dann aber bitte jetzt: Wieder die drei Fingen (Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger) der rechten Hand locker und mit der Handinnenseite Richtung Brust auf Brusthöhe. Dann die rechte Hand gerade nach unten ziehen und gleichzeitig den ganzen Körper aufrichten, als wäre man wie eine Marionette am Kopf oben an einer Schnur befestigt, die einen nach oben zieht. Dabei Sono un architetto. Da vergisst man jede deutsche Emanzipation. Ich habe seither nie mehr architetta gesagt… Grazie, cara.

Emanzipation. Italien. Ein spannendes Thema. Und da gibt es auch noch ein bisschen Weg zurückzulegen. Ich lese gerade Elena Ferrante. Teil 2. Die Geschichte eines neuen Namens. Danke an meine lieben Kollegen, die mir das zum Abschied geschenkt haben. 

Neapel in den 60er Jahren. Ein armer Stadtteil. Zwei junge Frauen. Emanzi… Was? Die Italienischen Jungs umwerben die Mädels dort wie Prinzessinnen. Machos eben. Und nach der Hochzeit sind die Frauen dann Besitz der Männer. Gehorsam. Geschlagen werden. Machos eben? Teil 1 des Machogehabes kenne ich. Kann man das heute ohne Teil 2 haben? Oder haben die Italiener da noch ein bisschen Bewegung nötig? Ich habe einen älteren Italiener beobachtet, der seinen Hund geschlagen hat. Auf eine Weise, die mich doch irritiert hat. Hat der als junger Mann in den 60ern in Neapel im Rione gelebt? Diese Welt möchte ich gerne wegwerfen….

Wer diese Welt nicht nur weg sondern gleich doch wieder hochgeworfen hat, waren die Drag Queens à Milano. Da sind wir in ein ganz entspanntes Fest geraten. Großer Spass. Entspannte Italiener. Entspannte Italienerinnen. Und alles dazwischen. 

 

 

Insgesamt wird hier dennoch alles immer milder. Weicher. Ich auch. Gut so. Vielleicht wird man das zwangsläufug, wenn man auf Röschenbettwäsche schläft. Die alten Chinesen sagen, dass die Seele nachts auf Wanderschaft geht. Wenn meine Seele nachts auf Wanderschaft geht, sieht sie zuerst mal Röschen… Röschenlaken. Röschenbettuch. Röschenkopfkissen. Da muss man milder werden.

 

Weg. Weg. Umarmung, Tanja 

 

PS. Vom 03.07.2018

Gestern bin ich den ganzen Tag lang Wege in Cinque Terre gegangen. Sehr lange. Sehr schöne. Bisschen viel Multi-Kulti-Tourismus. Aber einfach zu Recht Weltkulturerbe. Einfach schön…..

 

 

PPS. Vom 03.07.2018

Von heute aus der Drogerie. E gira, gira il mondo - die Welt bewegt sich und bewegt sich…. Jovanotti zum Einkaufsbummel. Und eine wundervolle Erkenntnis als Grundlage für ein Liebeslied -  tolles Wort - so schön deutsch - , das ich hier mal zum Klassiker der italienischen Liebeslieder erkläre. Bella. Wundervoller Text. Gruß an den Italienischkurs zu Hause. Hört euch das doch mal zusammen an. Forte come un fiore - stark wie eine Blume. Italienische Poesie. 

E gira, gira il mondo… Und sie bewegt sich doch. War schließlich auch ein Italiener.