03. Von der Freiheit. Jeden Tag.

 

Angekommen in Lerici. Am Meer. In meinem neuen zu Hause. Meinem appartamento. Schon ganz viel geschafft. Ganz viel gelernt. Gleich Tag 1 hier war gigantisch. So hübsch italienisch….

Am Abend vorher frisch hereingespült wurde ich in einer ganz lieben Mail noch gefragt, was ich denn mit dieser vielen Freiheit mache. Was mache ich denn den ganzen Tag? Erst mal was ich kann. So meine Antwort. Einrichten. Abnahme. Sollte sich mehr bewahrheiten als ich dachte… abends in der Bar am Hafen mit einem Aperitif. Das appartemento ist sehr nett. Aber immer noch viel zu tun…

Wie viel habe ich am Morgen von Tag 1 hier erst so recht gesehen. Um 11 kamen die Vermieter. Der schiere Wahnsinn. Vater. Mutter. Sohn. Stiefmutter wie ich inzwischen weiß. Alle drei lebensuntauglich. Jeder auf seine Art. Aber Ergebnis ist, sie haben nichts hingekriegt. Ich habe ihnen dann schön eins nach dem anderen gezeigt, das noch nicht so ganz passt - Abnahme eben. 

Bisher habe ich noch nichts bezahlt. Ich gehe meinem Vermietertrio also sehr freundlich und motivierend auf die Nerven. Packe sie bei der Ehre. Volles Programm. Und bevor sie mir nicht meinen Internet-Anschluss und noch so ein paar Nettigkeiten auf die Reihe gebracht haben, bekommen sie auch nichts. Sollte es doch einen wenn auch indirekten Zusammenhang zwischen Glück und Geld geben?

Schnell zur Seite hüpfen, wenn die Welt wieder runter kommt? Oder gleich wieder hochwerfen?

Mein Liebling in unsere Abnahmebegehung: die Dunstabzugshaube. Mit Fett von Jahrzehnten. Brauch ich eh nicht in einer Küche mit Fenster. Und als Umlufthaube in diesem Zustand braucht die niemand. Der Vater hat mir noch so schön erklärt, sie habe keinen Schalter. Man müsse den Stecker hier reinstecken. Eine Sorte Stecker, die wir Deutschen erfunden hätten…. Und im nächsten Moment hat er das ganze Ding schon in der Hand gehabt. Ich hatte es auf der einen Seite bereits von der Wand genommen. Da mussten Vater und Sohn auf der anderen Seite zwangsläufig nachziehen. Haben sie auch hingekriegt. Und im übernächsten Moment tragen Vater und Sohn das Teil von dannen. Ich will gar nicht wissen, wohin. Es gibt einen unteren Teil des Gartens, den ich noch nicht erkundet habe. Hätte ich einen Protokollanten dabei gehabt, käme an dieser Stelle jetzt ein Foto der Umlufthaube. Bitte lasst eurer Fantasie freien Lauf. 

Auch schön. Die Geschichte von der Bettdecke. Bettwäsche konnten die Vermieter nicht organisieren. Das war klar. Mein Kontaktmann hier vor Ort ist so lieb und leiht mir Bettwäsche. Hatte mir sogar das Bett überzogen als ich abends ankam. Ein Schatz. Nun. Aber es war keine Decke da. In Italien deckst du dich mit einem Bettuch zu, wenn es sehr warm ist. Wenn es kälter ist, nimmst du eine Decke drüber. Baumwolldecke. Wolldecke. Federdecke. Je nach Kälte. Hier ist es nachts kalt. Und ich habe mit meinem Bettuch erst mal ordentlich gefroren. Die Vermieter darauf angesprochen, sagen, sie hätten vor zwei Wochen beim Probewohnen auch ordentlich gefroren. Nur mit Bettuch. Aber dann ist nichts mehr passiert…

Wie motiviert man solche Menschen? Wie kriegt man solche Menschen zum laufen?  Ich merke, ich habe in den letzten Berufsjahren viel gelernt. Denn sie laufen jetzt. Aber pronto. 

Später an Tag 1 habe ich meine bisher besten Freundin hier in Lerici getroffen. La Midi. Schwägerin des Vermietertrios. Mitte 70. 1,50 m groß. Weißes tailliertes Kleid mit roten Blumen, die auch fast 1,50 m groß sind. Rauchige laute Stimme, an der sie lange gearbeitet hat und noch arbeitet. Frau eines Kapitäns. Ich habe sie doch beeindruckt damit, dass die Dunstabzugshaube gleich am ersten Vormittag weg ist. Und die mega siffigen kaputten Fliegengitter. Zwei Ihrer Lieblingsthemen. Von Ihr weiß ich auch, dass die Matratzen neu sind. Aber das ist eine andere Geschichte. Und eine schön warme, frisch gereinigte Bettdecke habe ich auch von ihr bekommen. 

Und als ich frage, was ich den jetzt am besten weiter tue. Vai al mare - geh erst mal ans Meer. 

Ergebnis von Tag 1: Freiheit muss man sich nehmen. Auch wenn es gerade Konzept ist. Immer und jeden Tag wieder neu. Freiheit fällt nicht von Himmel. Die Welt schon. 

An Tag 2 haben die Vermieter am Abend bereits eine ganze Menge von der Liste umgesetzt - ja, ich habe eine Liste geschrieben, die mehrfach abfotografiert wurde und durch die Welt gemailt. Ist ihnen doch irgendwie peinlich gewesen. Ich am Ende des Tages ganz zufrieden. Dann der Klassiker. Das Vermietertrio geht. Das Wasser geht nicht. Nicht in der Küche. Nicht im Bad. Ich habe es dann sein lassen, nochmal anzurufen und bin auf den Antiquitätenmarkt unten am Hafen gegangen. Murano Vase. 60er/ 70er Jahre. Ein Traum. Ungeduscht und glücklich. 

 

Am nächsten Tag hat mir la Midi das Wasser wieder angestellt. Das hatte der Sohn versehentlich abgestellt als er mir den Außenwasserhahn erklärt hat. Für alle, die mit bauen zu tun haben. So geht es auch!

 

 

Das blaue ist das Hauptabsperrventil. War versehentlich abgestellt. Links der Gartenschlauch und der Gartenschlauch rechts ist das Zuwasser für die gesamte Wohnung. Nein. Nicht frostsicher! Kein Wasserdruck!

Heute, drei Tage später, und am Ende des dritten Vermieterdates verstehe ich einiges besser. Der Vater hat Probleme mit Demenz. Die Stiefmutter ist tatsächlich lebensuntauglich und der Sohn hat sich bis vor meiner Ankunft eben nicht gekümmert. Überhaupt nicht. Aber wir sind immer noch Freunde. Inzwischen wieder richtig gute. Ich hatte gerade den ganzen Nachmittag ein Sondereinsatzkommando hier aus Sohn, Handwerker und Putzfrau. Alle hochmotiviert. Und sie haben weitere Listen geradezu eingefordert…. Der Handwerker ist eigentlich Maler. Aber er macht alles. Sonniges Gemüt. Super schnell. Hilfsbereit. Schmeißt mit bisschen viel Farbe um sich. Aber die Putzfrau - super gründlich - macht es dann eben wieder weg. Am Ende stand die Putzfrau dann nackt in meiner Wohnung. Warum muss man nach dem Putzen den BH wechseln? Die Sorte Italienerin kannte ich bisher nicht… Wie auch immer hat das Trio aus sonnigem Handwerker, barbusiger Putzfrau und demütig hilfsbereitem Sohn  - ergänzt durch die Muranoglasvase - es an einem Nachmittag geschafft, dass ich mich jetzt hier zu Hause fühle. Bravi!

Mittwoch kommen Handwerker und Sohn nochmal. Den Rest erledigen. Sie sind so hilfsbereit geworden, dass sie mir auch mein Moskitonetz aufhängen. Die Decke ist bisschen höher. Also krieg ich das nicht mal eben selbst hin. Wie hoch die Decke tatsächlich ist, haben Handwerker, Sohn und ich eben ausführlich diskutiert. Italiener diskutieren bekanntlich gern. Und jeder hat hier eine Meinung. Am liebsten die richtige… Wir haben alle drei eine Schätzung abgegeben. Ich sage es sind 3,30m. Ich bin Architektin. Ich weiß, es sind 3,30m. Ich bin Architektin. Ich habe es gestern gemessen. Aber das wissen die nicht… Mittwoch schauen wir, wer Recht hat. Auch das ist eine Art Freiheit nehmen. 

Heute Mittag gab es ein super Gewitter hier. Heute Nachmittag hat mich das Sondereinsatzkommando glücklich gemacht. Heute Abend am Strand war alles ganz klar. Klar. Friedlich. Mild.

Und morgen nehme ich mir einen ganzen Tag frei….

 

Klarheit. Freiheit. Umarmung. Tanja 

 

 

 

PS. Vom 26.06.2018

Heute nach meinem ersten kleinen Ausflug über Portovenere nach Palmaria - Insel umwandern mit Badestops - ergänze ich…. Ich bin überwältigt von der Schönheit hier. Was mache ich hier den ganzen Tag? Mich von der Schönheit überwältigen lassen. Ich nehme mir die Freiheit, mich von der Schönheit überwältigen zu lassen. Jeden Tag.